Psychologische Beratung & Traumatherapie
Das Beratungsnetzwerk Grenzgänger bietet im Rahmen seiner Arbeit psychologische Beratung, Traumatherapie und diagnostische Hilfe im Kontext islamistischer Radikalisierung an.
Psychologische Beratung
Psychologische Beratung ist sehr individuell und bei jedem anders. Sie kann einem helfen, wenn man sich unsicher, ängstlich, überlastet, hilf- und machtlos fühlt und nicht weiß, wie es weiter gehen soll oder das Leben wesentlich an Qualität verloren hat. Aber auch, wenn man in eigener Lage Klarheit gewinnen möchte, sich bereits für eine Strategie entschieden hat und dabei Unterstützung braucht.
Psychologische Beratung hilft dem Ratsuchenden, eigene Ressourcen (wieder) zu entdecken, und zu lernen diese im Alltag und in kritischen Situationen zu nutzen. Sie kann helfen, in einer unklaren persönlichen oder sozialen Situation die benötigte Klarheit zu gewinnen. Sie kann in einer Konfliktsituation unterstützen und/oder zu einer Lösung verhelfen. Sie kann helfen, die eigenen Stärken, Talente und Kraftquellen wahrzunehmen und zufriedener mit sich selbst und dem Leben zu werden.
Unsere psychologische Beratung stützt sich, wie jede unserer Beratungen, auf einen systemischen Ansatz. Auch betrachten wir jede Persönlichkeit als ein System, als ein Reich aus Eigenschaften, Talenten, Bedürfnissen, Trieben, Erfahrungen und Potentialen, das nach einer gewissen psychologischen Ordnung organisiert und gesteuert wird.
Zusammengefasst bewegt sich die psychologische Beratung in verschiedenen Dimensionen und berücksichtigt mehrere Einflussbereiche, die die problematische Situation ausmachen. Das hilft Klient*innen, effektivere Wege zu ihren Zielen zu finden, zu wählen und einzutreten.
Ein Gespräch (persönlich oder telefonisch) dauert in der Regel 50 bis 60 Minuten. Es gibt Fälle, in denen eine Sitzung reicht. Meistens aber braucht man mehr Zeit. Manchmal dauert die Beratung mehrere Wochen oder Monate – je nach Bedarf der Ratsuchenden und der Situation, in der sich Betroffene befinden. Die Klient*innen bestimmen selbst über Häufigkeit und Dauer der Beratung.
Für den Beratungsverlauf könnte es ein Vorhaben sein, Ratsuchenden zu helfen, ihre Ziele zu formulieren und ihre Ressourcen wahrzunehmen, die ihnen helfen, diese Ziele zu erreichen. Mit den Ratsuchenden zusammen betrachten unsere Berater*innen Schwierigkeiten, Probleme oder Krisen im Leben der Klient*innen. Dann äußern die Ratsuchenden ihre Vorstellungen, Wünsche und Erwartungen darüber, was sie erreichen möchten und es wird gemeinsam eine realistische Einschätzung vorgenommen.
Ein Beispiel
Ein Jugendlicher ist vom Christentum zum Islam konvertiert. Er betet fünf Mal täglich, fastet im Monat Ramadan, trägt entsprechende Kleidung und lässt sich einen Bart wachsen. Seine Mutter macht sich Sorgen und ruft die Beratungsstelle an.
Eine gemeinsame Einschätzung, ob überhaupt eine Radikalisierung vorliegt, wird von den Kolleg*innen des Beratungsnetzwerks vorgenommen.
Die Mutter ist sehr aufgeregt. Sie hat Angst vor dem Islam, weil sie diese Religion mit Terrorismus in Verbindung setzt. Sie fühlt sich hilf- und machtlos. Ihr Blutdruck steigt, und sie muss einen Arzt aufsuchen. Nach Auf ihre Erwartungen bzgl. der Beratung angesprochen, wünscht sie, dass ihr Sohn zum Christentum zurückkonvertiert.
Das ist ein Beispiel von eher unrealistischen Zielen.
Man überlegt dann gemeinsam, was tatsächlich die Rückkehr des Sohnes zum Christentum für die Ratsuchende mit sich bringen würde. Was braucht die Mutter wirklich?
Sicherheit für ihren Sohn, für die Familie und sich selber?
Ruhe und Stabilität für den Sohn, die Familie und sich?
Weitere gute Beziehungen und die Nähe zum Sohn?
Die Beantwortung dieser Fragen hilft, die Ziele der Beratung zu formulieren. Um diese Ziele zu erreichen, schaut man zusammen die Situation an und schätzt sie gemeinsam ein. Der Erfolg der Beratung stützt sich auf die Wahrnehmung mehrerer Sachen: der seelische Zustand Ratsuchender, die körperliche Befindlichkeit und Gesundheit, die äußere Sicherheit und Stabilität, die Beziehung zu Betroffenen, als auch andere soziale Beziehungen sowie die familiäre Lage und die Bedürfnisse bzgl. der Situation.
Wichtig ist es zum einen, den seelischen Zustand Betroffener zu berücksichtigen: die körperliche Befindlichkeit und Gesundheit, die Beziehung zu Ratsuchenden und andere soziale Beziehungen, als auch die familiäre Lage. Zum anderen müssen weitere lebensweltliche Gegebenheiten in der Beratung berücksichtigt werden: notwendige Bedürfnisse Betroffener in ihrer aktuellen Lebenssituation, Vermutungen über Bedürfnisse, die sie zu der angeblichen Radikalisierung haben bewegen lassen, sowie äußere Faktoren, die den Weg der Radikalisierung erleichtern.
Das alles zusammen spielt eine wichtige Rolle bei der Einschätzung des „Ist-Zustandes“. Als nächster Schritt wird über Ressourcen und Potentiale Ratsuchender und Betroffener gesprochen. Zusammen arbeiten wir daran, dass diese Ressourcen wahrgenommen und im Alltag verwendet werden, um hinderliche und störende Umstände zu überwinden und das Leben zufriedenstellend für sich zu gestalten.
Je nach Situation und Persönlichkeit der Klienten können die Methoden der Beratung variieren. Systemische Methoden (zirkuläres Gespräch, Klärung und Beschaffung der Perspektive, Genogramm, Soziogramm, systemische Aufstellungen, Biografiearbeit, unterstützende Rituale etc.), klientenzentrierte gesprächs-, kunst- und körpertherapeutische Methoden, Entspannungs- und Atemtechniken, Achtsamkeitsförderung, Imaginationsübungen und Konfliktmanagement werden angeboten, um Ratsuchende zu unterstützen und ihnen zu helfen, ihre Ziele zu erreichen.
Traumatherapie
Traumatische Ereignisse erschüttern die innere Welt und Weltvorstellungen der Menschen. Man ist entsetzt, erschrocken und fühlt sich hilflos. Das stört, klar zu denken und effektiv zu handeln. Traumatisierungen, die uns in der Beratung begegnen, sind verschiedener Herkunft. Religionsbezogene Veränderungen eines Menschen, der den Ratsuchenden nah oder wichtig ist, als auch Angst vor Extremismus können einen hohen Stress hervorrufen und sehr belastend sein. Aufgrund von früheren seelischen Verletzungen können die Kräfte für die Bewältigung der aktuellen problematischen Situation fehlen, weil die allgemeine Belastbarkeit gesenkt ist. Ein früher erlebtes traumatisches Ereignis (oder mehrere) kann so einen hohen psychischen Druck erzeugen, vor dem der Mensch in den Extremismus flieht. Der Extremismus wird so ein Ausweg aus einem unerträglich hohen inneren Stress.
In diesen Fällen hilft Traumatherapie, psychische Stabilität zu erlangen. Man bekommt Informationen und Kenntnisse über Traumareaktionen, deren Gründe und Folgen. Wissen über das, was bei einer Traumatisierung passiert, hilft die Kontrolle zurück zu gewinnen. Man lernt, sich von belastenden Gefühlen und Zuständen zu distanzieren und sie zu steuern. Man verschafft sich in seiner eigenen inneren Welt Räume für Entspannung und findet dort Quellen der Lebenskraft. Man lernt eigene starke Seiten kennen und weiß, wie man diese dann in „kritischen“ Situationen einsetzt. Mit der psychischen Stabilität gewinnt man an Autonomie und kann das eigene Leben selbst bestimmen, statt nur vom Leiden getrieben zu werden.
Oft geben sich Menschen, die stabilisiert sind, damit zufrieden. Es gibt eine weitere Phase in der Traumaverarbeitung –
die Traumakonfrontation:
Bei guter Vorbereitung, sicheren Bedingungen in der professionellen Begleitung und mit stabilisierenden Methoden ausgestattet, lässt man die traumatische Situation als Vorstellung wieder entstehen. Die Klient*innen erleben sie, ohne sich ohnmächtig, hilflos und entsetzt zu fühlen. Dabei entsteht eine neue Bewertung des Geschehenen und der eigenen Rolle darin. Als nächster Schritt wird das Erlebte in den Strom der biographischen Erinnerungen integriert. Man erlebt es nicht mehr als sich im „Hier und Jetzt“ dauerhaft wiederholendes Geschehen, sondern man weiß, dass es zur eigenen Vergangenheit gehört. Es wird möglich, daran zu denken und darüber zu sprechen, ohne von eigenen Reaktionen überwältigt zu werden.
Psychologische Forschung
Wir erforschen im Allgemeinen den Zusammenhang zwischen psychologischen und „nicht psychologischen“ Faktoren und im Speziellen psychologische Faktoren, die zum islamistischen Extremismus hinführen als auch welche Rolle psychische Störungen bei einer Radikalisierung spielen. Dazu arbeiten wir eng mit unserer Forschungsstelle Deradikalisierung (FORA) zusammen.
Diagnostik
Wenn es gewünscht ist, bieten unsere Psycholog*innen eine Einschätzung des psychischen Zustandes an. Sie wird mittels psychologischer Tests und Fragebögen sowie Checklisten, Interviews und Beobachtungsverfahren durchgeführt. Solche Einschätzungen können uns innerhalb des Beratungsprozesses helfen, persönliche Situationen richtig zu bewerten und Hilfen passgenau zu steuern.
Zum Beispiel stellen Sie möglicherweise fest, dass es Ihnen nicht gut geht oder Sie nicht die Dinge tun möchten, die Sie zuvor getan haben. Sie fühlen sich vielleicht traurig, verzweifelt und frustriert. Wenn es einen Grund für Ihre Traurigkeit gibt (bspw. Verlust eines geliebten Menschen) können diese Gefühle normal sein – eine vorübergehende Reaktion. Wenn Sie jedoch schwere Symptome haben und diese nicht verschwinden, kann dies auf eine Depression hindeuten. Dann haben Ratsuchende bzw. Betroffene die Möglichkeit, unsere psychologische Hilfe wahrzunehmen oder wir helfen, psychotherapeutische oder fachpsychiatrische Hilfe zu bekommen.