Fallbeispiel - Wie gehen wir im Beratungsprozess vor?

Wie beraten wir?

Ihre Sorge um einen Angehörigen, der sich radikalisiert und sich bspw. in der salafistischen Szene bewegt, nehmen wir sehr ernst. Wir arbeiten in unserer Beratung bedürfnisorientiert und entwickeln mit Ihnen gemeinsam Strategien zur Deradikalisierung. Wie solche Betroffenen erreicht werden können und die Spirale der Radikalisierung durchbrochen werden kann, zeigen einige Fallbeispiele.

Unsere Beratung ist vertraulich und kostenlos. Wir sind für jeden, der professionelle Hilfe im Bereich religiös begründeter Extremismus benötigt, der perfekte Ansprechpartner und schnell erreichbar.

Es ist uns ein besonderes Anliegen, dass Sie sich in der Beratung gut aufgehoben und verstanden fühlen. Aus diesem Grund beginnt jede Beratungsperiode mit einem ausführlichen Gespräch zum Kennenlernen. Hier werden alle Fragen beantwortet, die Sie zu der Beratungsstelle haben und wir erfahren, welcher Weg Sie zu uns geführt hat.

Der Pfad, der zum Radikalisierungsprozess führt, ist oftmals sehr lang. Für das soziale Umfeld kommt die Veränderung im Leben des Radikalisierten aber meistens sehr plötzlich und Angehörige sehen sich häufig mit einer überraschenden Wesensveränderung konfrontiert, die sie nicht zuordnen können. Tatsächlich kann die Dauer der eigentlichen Radikalisierung relativ kurz sein. Innerhalb von ein paar Monaten kann aus einer Person, die zuvor ein völlig ruhiges Leben führte, ein Mensch werden, der für eine radikale Auslegung des Islam brennt.

Nicht ohne Grund verlieren sich Menschen in einer solchen Ideologie. Manchmal sind es die zu frühe Scheidung der Eltern, manchmal psychische oder physische Krankheiten, die man durchleben musste, manchmal das Fehlen geordneter sozialer Kontakte, die einen auffangen und manchmal auch einfach im Leben endlich etwas gefunden zu haben, was einem Sinn gibt. Egal was es ist, es liegt meistens tiefer in der Biographie des Radikalisierten verborgen als angenommen. Deswegen ist es uns ein wichtiges Anliegen möglichst viel über das Leben und das soziale Umfeld des Betroffenen zu erfahren. Da wir systemisch arbeiten, sind wir davon überzeugt, dass der Weg zur Deradikalisierung über eine enge Beziehungsarbeit den größten Erfolg verspricht. So können wir mit Hilfe der Bezugspersonen den Versuch starten, die Radikalisierungsspirale zu durchbrechen.

Solange der Bedarf besteht, arbeiten wir mit Ihnen zusammen. Dies kann in Form einiger Telefonate oder auch jahrelanger Gesprächstreffen sein. Jeder Beratungsprozess ist individuell und auf Ihre Bedürfnisse abgestimmt. Bei Problemen oder Fragestellungen, die andere Netzwerkpartner*in oder auch Behörden betreffen, leiten wir Sie selbstverständlich an die entsprechenden Ansprechpartner*innen weiter.

Ein Beispiel

Lisa offenbart ihrer Mutter eines Tages, dass sie zum Islam konvertiert ist und sich von jetzt an verschleiern wird. Die Mutter, die ihre Tochter seit ihrer Kindheit allein groß gezogen hat, versteht die Welt nicht mehr und reagiert im ersten Moment mit Unverständnis. Sie macht ihrer Tochter deutlich, dass sie so ein Verhalten nicht akzeptiert. Die Tochter, die sich provoziert fühlt, erklärt ihrer Mutter im nächsten Atemzug, dass sie auch schon einen muslimischen Ehemann hat, mit dem sie irgendwann in ein islamisches Land auswandern und eine Familie gründen will. Unmittelbar nach diesem Gespräch lässt sie ihren Worten auch Taten folgen und geht nur noch vollverschleiert aus dem Haus und beginnt mehrere Tage in der Woche bei ihrem Mann zu verbringen. Jedes Mal, wenn die Mutter mit ihr reden möchte, eskaliert die Lage und es folgen lediglich unfruchtbare Diskussionen und lange Streitigkeiten. Die Mutter weigert sich mit ihrer verschleierten Tochter in die Öffentlichkeit zu gehen, verlangt von ihr diese Kleidung abzulegen und möchte ihr den Umgang mit ihrem Mann verbieten. Allerdings scheint alles vergeblich zu sein und das Zusammenleben wird von Tag zu Tag unerträglicher.

Nachdem auf diese Art und Weise eine Zeit vergangen ist und die Mutter die erste Panik überwunden hat, erkundigt sie sich nach Hilfsangeboten und meldet sich bei unserer Beratungsstelle. Nach einem ersten ausführlichen Gespräch wird deutlich, dass Lisa der Vater in ihrem Leben immer gefehlt hat und sie sich deswegen nichts sehnlicher wünscht als eine kleine glückliche Familie. In ihrem neuen Freund (Ehemann) scheint sie die Erfüllung dieses Traumes zu sehen und in ihrem neuen Glauben ein Gemeinschaftsgefühl zu empfinden, was ihr in ihrem ganzen Leben gefehlt hat.

Auf unsere Empfehlung hin besorgt sich die Mutter den Koran, informiert sich über den Islam und zeigt somit ihrer Tochter, dass sie sich für sie und ihre Lebensentscheidungen interessiert. Mutter und Tochter kommen sich wieder näher. In einem nächsten Schritt äußert die Mutter den Wunsch den Partner ihrer Tochter kennenlernen zu wollen. Ein erstes gemeinsames Treffen findet statt, es folgen weitere. Die Parteien entwickeln mit der Zeit ein gutes Verhältnis zueinander.

Dieser Prozess nimmt einige Zeit in Anspruch, doch am Ende ist die Mutter von ihren Ängsten einer fremden Religion und ihrem Schwiegersohn gegenüber befreit und Lisa hat endlich den Halt, die Geborgenheit und die Familie, die sie sich immer gewünscht hat. Mutter und Tochter können wieder entspannt miteinander umgehen und Zukunftspläne teilen.